Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen am Main e.
V.
6. Februar 2002
„Gesprächskonzert“
mit Werken
des Komponisten Herbert Fromm
Prof. Kolja
Lessing, Klavier
Prof. Willi Zimmermann, Violine
Michael Schneeberger, Texte
"Begegnung mit Herbert Fromm -
Gedanken anlässlich der deutschen Erstaufführung
seines Streichquartetts im Jahre 1989
Es
ist das Verdienst des “Fördervereins ehemalige Synagoge Kitzingen“,
einen Kammermusikabend zu veranstalten, dessen Hauptwerk das
Streichquartett des 1905 in Kitzingen geborenen Herbert Fromm darstellt
- es wurde als deutsche Erstaufführung von Christine Stroppe und
Johanna Bolwin (Violine), Wolfgang Schulz (Viola) und Eva Brand
(Violoncello) gespielt, die das Programm mit Werken von J. S. Bach und
Felix Mendelssohn-Bartholdy abrundeten. Dieses Verdienst ist in
doppelter Hinsicht als ein historischer “Brückenschlag“ zu werten:
so wurde einerseits ein Komponist gewürdigt, der - aus einer im Fränkischen
beheimateten jüdischen Familie stammend - 1937 in die USA emigrierte
und dort ein neues Wirkungsfeld fand, andererseits wurde mit der Aufführung
des Quartetts an das Schicksal manch anderer deutscher Komponisten der
gleichen Generation erinnert, die in ihrem traditionsbewussten und
traditionsgebundenen Schaffen durch die musikgeschichtlichen
Entwicklungen nach 1945 verdrängt wurden und allzu schnell in
Vergessenheit gerieten.
Herbert Fromms 1961 bei Boosey & Hawkes veröffentlichtes
Streichquartett verrät in seiner formalen Anlage ebenso wie in seiner
melodischen Erfindung und weitgehend tonal gefärbten Harmonik den
Einfluss Hindemiths, dessen Schüler Fromm 1939 wurde und dessen musikästhetische
Ansichten sich Fromm zueigen machte. Welch große Ausstrahlung Hindemith
überdies als praktischer Musiker und als Mensch auf Herbert Fromm
gehabt hat, lässt sich in einem sehr schönen Aufsatz nachlesen, den
Fromm in seiner hochinteressanten Sammlung von Aphorismen und Essays
“Seven Pockets“ dem Andenken seines Mentors in den ersten
amerikanischen Jahren gewidmet hat. Die Begegnung mit Hindemith mag für
Herbert Fromm vielleicht ein Anknüpfen an das geistige Erbe bedeutet
haben, das nach 1933 in Deutschland existentiell bedroht wurde und dem
Herbert Fromm in all den Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Musikdirektor
und Organist am „Temple Israel“ in Boston tief verbunden blieb.
Dabei spiegelt sich in Herbert Fromms Streichquartett vor allem die Ästhetik
des “späten“ Hindemith wider, namentlich in seinem Rückgriff auf
altertümliche Formen, wie es der als „Ricercare“ angelegte
Einleitungssatz beweist, in dem das wesentliche thematische Material des
ganzen Werkes bereits anklingt. Der 2. Satz, „Thema“ betitelt,
stellt einen schlichten, volkstümlich anmutenden 8-taktigen Gedanken,
nur von der 1. Violine gespielt vor, der - nach einem lebhaften,
rhythmisch markanten Zwischenteil - am Ende des Satzes in 1. und 2.
Violine (bei kontrastierenden Akkorden von Viola und Violoncello) in nun
energischem Charakter nochmals erscheint.
Die
beiden Materialien des „Thema“ wechseln in den folgenden 4
Variationssätzen einander ab und verschmelzen miteinander; einzelne
Bestandteile werden herausgelöst und entfalten eine neue motivische
Weiterentwicklung. Trotz der überwiegend ernsten Grundstimmung des
ganzen Quartetts, wie sie sich besonders schön im „Ricercare“
oder in der 2. Variation („Recitative und Arioso“) dokumentiert,
finden sich immer wieder
Momente einer Verwandlung ins Groteske, Witzige - so z. B. am Anfang der
1. Variation, in der ein Bruchstück jenes volkstümlichen Themas über
einem ostinaten Baß eine eigene Dynamik entfaltet. Auch die köstliche
Ländler-Parodie in der 4. Variation lässt - ähnlich wie bei Hindemith
- eine gleichermaßen humorvolle wie liebevolle Neubeleuchtung alter
Tanzsatzformen erkennen. Im 7. Satz, dem Finale des Quartetts (das man
auch „Suite“ nennen könnte) verdichten sich die Bestandteile des
ganzen Werks in einer beinahe brucknerisch anmutenden Engführung (Takt
150 ff.), bevor die 1. Violine eine Reminiszenz an das einleitende
“Ricercare“ bringt. Die Interpreten zeichneten deutlich die
Charaktere der einzelnen Sätze nach, die durch eine gut differenzierte
dynamische Abstufung plastisch gestaltet wurden. So kamen die
archaisierenden, melancholischen Züge wie auch die
musikantisch-spielerischen Seiten des Werks voll zur Geltung.
Es
war sehr sinnvoll, das Quartett von Herbert Fromm mit zwei Sätzen aus
Bachs “Kunst der Fuge“ und Felix Mendelssohn- Bartholdys e-moll
Quartett op. 44 Nr. 2 zu umrahmen. Das Werk Fromms wurde somit in die
Reihe großer deutscher Tradition gestellt, wobei gerade der Wahl
Mendelssohns für jenes Programm in der Synagoge besondere Bedeutung
zukommt: hatte nicht Felix Mendelssohn-Bartholdy, der berühmte
Wiederentdecker der Musik Bachs für das Konzertleben, als Enkel des
herausragenden jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn die
Assimilierung von Judentum und Deutschtum so weit geführt, wie es einem
Herbert Fromm aufgrund der politischen Umstände hundert Jahre später
unmöglich erscheinen musste? Herbert Fromm wurde zunächst 1933 von den
Nazis aus dem öffentlichen Musikleben gedrängt, und es verblieb ihm
nur noch die musikalische Betätigung innerhalb jüdischer Gemeinden -
dieser Schritt mag vielleicht nicht ohne Bedeutung für den weiteren
Lebensweg Fromms gewesen sein, der heute in Amerika als einer der
wichtigsten Komponisten jüdischer Sakralmusik gilt.
So
gab dieser Kammermusikabend nicht zuletzt die Anregung, sich erneut mit
dem Schicksal und der Problematik jenes in den 30er Jahren
unwiderruflich zerstörten Erbes gemeinsamer deutsch-jüdischer Kultur
zu beschäftigen, und es mag in diesem Zusammenhang von großem
Interesse sein, einmal mehr von den Kompositionen und
schriftstellerischen Arbeiten eines Herbert Fromm bei uns kennen zu
lernen.
Professor
Kolja Lessing, Würzburg (Hochschule für Musik)
29.09.1989“
Aus:
„Singet dem Herrn ein Lied von Zion“
Zum fünfundachtzigsten Geburtstag von Herbert Fromm,
Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen am Main e. V.
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